La Visciola
Die faszinierende Vielfalt der italienischen Weinregionen
Wer uns und unsere Aktivitäten in den letzten Jahren ein wenig verfolgt hat, dem wird nicht entgangen sein, dass ich eine recht ausgeprägte Vorliebe für Italien habe. Das mag am Essen liegen oder an der Verwandtschaft mit Völkern, die ihre Geschichte ähnlich lückenhaft aufarbeiten wie wir. Grüße an Frau Meloni.
Nein, natürlich nicht. Natürlich geht es um Wein. Und ich stelle immer wieder fest, wie sehr mich die Weine dieses Landes berühren. Das liegt nicht zuletzt an meinem exorbitanten Konsum von Barolo und Sangiovese, sondern eben auch an Regionen, die im Premiumbereich im Vergleich zu den eben genannten eher stiefmütterlich behandelt werden. Sizilien, die Abruzzen, Südtirol, Valtelina, Ghemme und wie sie alle heißen. Die Vielfalt und der Reichtum an Rebsorten, Stilen und Mikroklimata sind kaum fassbar. Sie reicht von den extrem kühlen Rieslingen im Südtiroler Eisacktal über die stilprägenden Maischegärungen von Josko Gravner im Friaul bis hin zu den reifen, mürben Brunellos.
Und selbst wenn man glaubt, ein Thema schon recht gut durchdrungen zu haben, hält ein vergleichsweise unentdecktes Weinland wie Italien immer wieder Überraschungen bereit. So auch das Weingut, das wir in diesem Monat besuchen.
Wir reisen in die Provinz Frosinone, die den südlichsten Ausläufer des römischen Latiums bildet. Im Osten grenzt sie an die Abruzzen, im Süden an Kampanien. Um es ganz offen zu sagen: Das letzte Mal hatte ich mit dem Latium während meiner Ausbildung zum Sommelier zu tun, und auch da wurde es nur sehr oberflächlich gestreift. Was mir auch ganz recht war, denn was sollte mich eine solche Region damals schon interessieren? Aber irgendwann holen einen die Geister der Vergangenheit ein und strafen einen im besten Fall mit Lügen.
Eine Weinreise in die Provinz Frosinone: Eine unbekannte Schatzkammer
Frosinone ist die Heimat des Cesanese del Piglio, einer Rotweinsorte, die vergleichsweise elegante, sehr transparente, aber auch kräftige Weine hervorbringt. Und wie in vielen anderen Regionen gibt es auch hier einen Avantgardisten, und wir wären nicht die Freiheit Vinothek, wenn wir ihn nicht für Euch aufgespürt hätten.
Der gute Mann heißt Pierro Macciocca und seine Spielwiese ist die Azienda Agricola La Viscola. Ein vergleichsweise junges Weingut, das Pierro erst 2005 gründete und damit in die Fußstapfen seines Vaters trat, der ebenfalls Weine im Pigliogebiet produzierte.
Wer jetzt denkt, dass der Kollege palettenweise Ware in die Welt schießt, der irrt. Die Jahresproduktion beläuft sich lediglich auf 13000 - 16000 Flaschen. Das liegt weniger am “nicht können” als am “nicht wollen”. Denn Pierro ist, wie nicht anders zu erwarten, ein absoluter Qualitätsfanatiker und um diese Qualität zu gewährleisten, macht er es sich nicht leicht.
Die Weinsorte Cesanese del Piglio ist übrigens seit 2008 DOCG und damit entsprechend reglementiert. 90% des Weines müssen Cesanese sein.
Einziger Haken - es gibt 2 Unterarten, die beide zugelassen sind, aber eben gewisse Unterschiede aufweisen. Cesanese d’Affile und Cesanese Comune. Erstere ist ertragreicher, weniger krankheitsanfällig und etwas größer. Der Cesanese Comune hingegen ist kleiner, lockerbeeriger und für höhere Lagen prädestiniert. In unserem Fall verwenden wir Cesanese Comune. Das passt gut, denn Pierros Weingärten liegen auf 340 bis 380 Metern Höhe und sein Bestreben war es ohnehin von Anfang an, feinere und elegantere Weine zu keltern.
Von Anfang an hat sich Pierro voll und ganz den Prinzipien der biologisch-dynamischen Landwirtschaft verschrieben und setzt sie konsequent um. Dass er darauf verzichtet, viel davon auf dem Etikett zu kommunizieren, liegt in seiner Natur.
Nachhaltige Weinherstellung und die Aufdeckung eines Weinjuwels: Azienda Agricola la Visciola im Latium
Naturnahes Arbeiten ist für ihn selbstverständlich. Im Keller wie im Weinberg. Zwischen den Reben grünt es. Aktuell setzt das Weingut auf biologische Nützlinge wie Ackerbohnen. Sie schmecken nicht nur hervorragend, sondern reichern auch den Boden mit Stickstoff an. So kann auf zusätzlichen Dünger verzichtet werden. Im Keller, man ahnt es, wird verzichtet, wo es geht. Aber keineswegs dogmatisch.
Es gibt zwar noch ein paar alte 500-Liter-Fässer, aber die Hauptrolle spielen die alten Zementtanks. Holz spielt bei Pieros Weinen ohnehin eine untergeordnete Rolle. Der Fokus liegt auf Frucht und Finesse, da sind harte Holztöne eher hinderlich. Das merkt man spätestens, wenn man die Weine probiert.
Das Latium hat mich bei diesen Weinen nicht gejuckt, die DOCG Cesanese del Piglio kannte ich höchstens vom Hörensagen. Überhaupt war der Flecken Erde zwischen Toskana und Sizilien für mich vernachlässigbar, was große Weine betrifft. Selten wurde meine vorgefertigte Meinung so hart bestraft wie in diesem Fall. Es ist völlig in Ordnung, wenn hier nicht jeder in Ekstase verfällt. Leise und zarte Weine sind nicht jedermanns Sache. Aber für jemanden, der sich schon lange mit den großen Weinen Italiens beschäftigt, und als solcher möchte ich mich bezeichnen, ist die Entstehung der Azienda Agricola la Visciola nicht weniger als spektakulär.
Denn was hier gemacht wird, setzt einen „neuen“ Weintyp, ein „neues“ Terroir auf die Landkarte der Weinwelt, das bisher überhaupt nicht im Rampenlicht stand. Wie blöd das war, entscheidet am besten jeder selbst. Aber eigentlich ist es doch schön, dass es immer noch Dinge gibt, die niemand auf dem Schirm hat. Sonst hätte das Thema Wein auch ziemlich schnell seinen Reiz verloren. Und aus meiner Erfahrung der letzten Jahre kann ich sagen, dass es noch verdammt viel zu entdecken gibt.
Neugierig? Hier haben wir euch unsere Lieblinge zusammengestellt.